Mittwoch, 2. September 2015

Billigfleisch hat seinen Preis

Gastartikel von Mag. Gisela Aichholzer, Teil 1
Wie viel Leiden akzeptieren wir für unser Essen?
Man kann eine Kultur daran messen,  wie sie die Tiere behandelt.
Mahatma Gandhi

Wenn es ums Essen geht, werden die Diskussionen schnell emotional. Gegner und Befürworter des Fleischessens geraten sich schnell in die Haare.  Das Recht auf Essen von Fleisch  wird aggressiv verteidigt, die Realität der industriellen Fleischerzeugung  dabei gänzlich verleugnet.

Der durchschnittliche  Fleischkonsum jährlich liegt in Österreich bei 86 Kilo pro Kopf, davon 55 kg Schweinefleisch. 5,5 Millionen Schweine werden
dafür  jährlich geschlachtet. Er hat sich in den letzten  vier Jahrzehnten verdreifacht. Nach Expertenmeinung  konsumieren  wir um zwei Drittel  zu viel Fleisch als für unsere Umwelt verträglich wäre. 99 Prozent der Tiere für die Fleischproduktion leben in der industrialisierten  Massentierhaltung1). Diese  ist alles andere als artgerecht, im Vordergrund stehen rein wirtschaftliche Interessen.

Werbeidylle und Wirklichkeit der Massentierhaltung
Die Werbeidylle  -  mit Bildern von am Bauernhof frei herumlaufenden Tieren  -  und die Realität der Tierhaltung  sind wie Tag und Nacht:2) Die Tiere kommen nie ins Freie, sind in kleinstem Raum ohne Einstreu festgehalten, vor allem die Vollspaltenböden in der Schweine- und Rindermast, die Kastenstände für Zuchtsauen (sie werden erst 2033 verboten sein) und die hohe Belagsdichte bei Masthühnern werden von Tierschützern kritisiert. Dazu kommen Eingriffe wie das Zähne-, Schwanz- und Schnabelkupieren sowie das Kastrieren von Ferkeln, die oft durch Laien ohne Betäubung durchgeführt werden. Von all dem erfahren wir im Supermarkt, wo das Fleisch als Packerlfleisch angeboten wird, nichts. Im Gegenteil: Die Verkaufsform fördert die Verdrängung, das Fleisch wird nicht mehr mit dem Tier assoziiert.
Wie die Tiere wirklich leben, zeigen beispielhaft die Tierrechtsfilme vom Verein gegen Tierfabriken  (www.vgt.at).  Hier finden sich zahlreiche Kurzfilme zu „Gänsestopfen", Gänserupfen", „Hühnermast", „Legebatterien", „Putenmast", „Ferkelverstümmelung", „Das Brüllen der Rinder" oder „Stop the bullship": Die halbaufgeschnittene Tiere am  Hacken, denen die Vorhufe abgeschnitten werden, bäumen sich noch einige Male auf.3)

Die Gräuel  in den Schlachthöfen sind die letzten Stationen im qualvollen Leben ohne Sonnenlicht, eng zusammengepfercht und ohne Auslauf. „Es ist tatsächlich nicht schwer zu verstehen"  so J. S.Foer in seinem Buch „Tiere essen" , „wieso die Fleischindustrie nicht einmal enthusiastische Fleischesser in die Nähe ihrer Schlachtanlagen kommen lässt. Selbst in den Schlachthöfen, wo die meisten Rinder einen schnellen Tod sterben, ist kaum ein Tag vorstellbar, an dem nicht zahlreiche Tiere (Dutzende?  Hunderte?)  ein unfassbar grauenhaftes Ende finden." (Foer, S. 262)

Schlachtvieh darf vor der Tötung nicht mit Medikamenten betäubt werden, da die Beruhigungsmittel im Fleisch bleiben würden, daher werden die Tiere mit einem pneumatischen Bolzenschussgerät, dass ein Arbeiter ihnen zwischen die beiden Augen drückt, betäubt. Dem Rind wird dabei zwar der Schädel eingedrückt, es bleibt aber unter Schmerzen bei Bewusstsein.  Es seien, so Foer, tausende Tiere, die bei vollem Bewusstsein mit einem Bein an die Kette über dem Fließband gehängt werden. „Das kommt ständig vor, die Industrie und die Behörden wissen es." (Foer, S. 263f)

Neben den verheerenden Aufzuchtbedingungen ist zudem auch die Fütterung ein Problem: Der wirtschaftliche Druck in der industrialisierten Fleischproduktion hat dazu geführt, dass man Tiere braucht, die bei geringen Kosten mehr produzieren. Also züchtet man auf schnelleres Wachstum und verbesserten Stoffwechsel. Um das Wachstum zu fördern, werden die Tiere mit Pharmazeutika und synthetischen Zusatzstoffen vollgepumpt. Dass dies Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat, werden wir in einem nächsten Artikel darstellen.

Billigfleisch und Preisentwicklung
Beschäftigt man sich näher mit den barbarischen Bedingungen, unter denen Fleisch heute produziert wird, so ist es ein echtes AHA-Erlebnis, wenn man die Preisentwicklung vor Augen hält: „In den vergangenen 50  Jahren, in denen die Massentierhaltung vom Geflügel auf Rinder, Milchkühe und Schweine erweitert wurde, ist der Preis für ein Eigenheim um 1500 Prozent gestiegen,….. der Preis für Eier und Hühnerfleisch hat sich nicht einmal verdoppelt. Wenn man die Inflation mit bedenkt, kostet tierisches Eiweiß  heute weniger denn je."4) 

Vor dem Hintergrund all dieser Information müssen wir uns fragen: Welchen Status haben Tiere heute? Haben wir das moralische Recht, so mit Tieren umzugehen?  Selbst die oft gestellte Grundfrage nach der Empfindungs- und Leidensfähigkeit von Tieren kann inzwischen als gesichert gelten:  Tiere weisen wie wir Menschen komplexe Gefühle und Verhaltensweisen auf. 5) D.h., haben wir das Recht so mit Tieren umzugehen?

Wenn man seine Augen vor der Massentierhaltung und den ungeheuerlichen Tötungspraxen nicht verschließt und noch ein paar Moralvorstellungen zur Tierhaltung hochhält, dann ist die logische Antwort: auf Produkte aus der Massentierhaltung zu verzichten. Neben den persönlichen Konsumentscheidungen  bedarf es allerdings auch gesetzgeberischer und gemeinsamer politischer Anstrengungen. (Foer,  S.229)

„Wenn es uns gelingt, daß man den Tieren ein lebenswertes Leben ermöglicht, das an der frischen Luft war, das die Sonne  gesehen hat, das zu einer Qualität herangereift ist, dass man das ganze Tier wertschätzen möchte als Lebensmittel", so der Slow food Aktivist Severin Corti,  „mit diesem ethischen Anspruch wäre das ein gangbarer Weg."

Quellen und weiterführende Literatur:

Tiere essen: Jonathan Safran Foer, Kiepenheuer & Witsch, 2010
Vegane Lebensformen: Radiokolleg vom 17.9.2014
www.vgt.at, www.vier-pfoten.at, www.animalfair.at , www.greenpeace.org


Mag. Gisela Aichholzer
SHIATSU Praktikerin

www.imkoerperzuhause.at

Zu 1): Vgl.  Martin Schlatzer im Radiokolleg. Die industrialisierte Massentierhaltung wurde in den 1950er Jahren entwickelt. Zu dieser Zeit war Tierschutz ein Fremdwort.
Zu 2): In Österreich gibt es 600.000 Puten in 144 Mastbetrieben. Das entspricht etwa 4.200 Puten pro Betrieb. Der größte Betrieb hält 15.000 Puten pro Halle. Diese verbringen  ihr  ganzes Leben auf ihrem Kot. Zu Turboputen gezüchtet haben sie das vierfache Gewicht ihrer Artgenossen.
Zu 3): Ebenso auf www.vgt.at/filme/fotos: Tierquälerische Tierfabriken hoher ÖVP Funktionäre/Fotos geschundener und gequälter Tiere; weitere aufschlussreiche Berichte und Filme auf  www. vier-pfoten.at/kampagnen/nutztiere/ sowie www.animalfair.at
Zu 4): Tiere essen: Jonathan Safran Foer, S. 130
Zu 5): Die Wissenschaft  aus dem Grenzbereich Natur- und Geisteswissenschaft kommt zum Ergebnis, dass zwischen Hund und Schwein  in biologischer Hinsicht kaum ein Unterschied besteht. „Zwischen Schwein und Mensch hinsichtlich kognitiver Fähigkeiten auch nicht. …. Die Frage ist nicht: Können sie denken, können sie sprechen, die eigentliche Frage ist, ob sie leiden können." (Herwig Grimm im Radiokolleg)


Zu Teil 2: Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen- die ökologischen Folgen des Fleischkonsums

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